Notruf aus dem Kinderzimmer: Teddy hat sich ein Bein gebrochen. Welche Eltern mussten nicht schon einmal als Plüschtier-Ärzte einspringen und mit ihrem Nachwuchs Bärenbeine verbinden oder Puppen verarzten. Genau dieses spielerische Interesse von Kindern kann auch im realen Leben genutzt werden. Denn fürs Helfen ist man nie zu klein. Zahlreiche deutsche Hilfsorganisationen wie die Johanniter, das Rote Kreuz oder der Arbeiter Samariter Bund (ASB) bilden schon ab dem Vorschulalter die Ersthelfer von morgen aus. Tatjana Lindenthal ist Rettungssanitäterin und Ausbilderin beim ASB in Ludwigsburg bei Stuttgart. Sie erklärt im Interview, warum man fürs Helfen nie zu klein ist, warum in ihren Kursen Mumien eine Rolle spielen und wie jeder Erwachsene Erste-Hilfe-Ausbilder werden kann.
Frau Lindenthal, Erste-Hilfe-Kurse in Kindergärten – ist das nicht viel zu früh?
Absolut nicht. Je früher Kinder mit dem Thema Erste Hilfe in Berührung kommen, desto selbstverständlicher wird es für sie. Kinder haben keine Berührungsängste und sind offen und neugierig. Es ist wie mit dem Schuhe binden: Je öfter ich es mache, desto mehr Routine habe ich, bin mir sicher in dem, was ich tue. Und habe im Ernstfall keine Angst. Leider ist es bis heute so, dass viele ihren ersten Kurs erst für den Führerschein absolvieren. Und dann scheuen sie sich zum Beispiel, jemanden für die stabile Seitenlage zu berühren. Wichtig bei Kindern ist nur, die Inhalte altersgerecht und spielerisch zu vermitteln.
Wie läuft denn so ein Kurs in einem Kindergarten oder einer Grundschule ab?
Zunächst stärke ich das Selbstbewusstsein der Kinder, indem ich ihnen klarmache, dass sie alle schon einmal erste Hilfe geleistet haben – zum Beispiel, wenn sie jemandem ein Kühlpad gebracht oder einen Erzieher oder eine Erzieherin geholt haben, wenn ein anderes Kind sich weh getan hat. Wir besprechen, was ein Notfall ist, wann man einen Rettungswagen braucht und wie man diesen ruft. Mit Spielzeughandys wird dann ganz geschäftig telefoniert (lacht). Viele Fünf- und Sechsjährige können die Zahlen schon, man darf sie wirklich nicht unterschätzen. Selbst die stabile Seitenlage bekommen Fünf- oder Sechsjährige mit vereinten Kräften hin – sie erfahren dann natürlich nichts von einer Zunge, die nach hinten rutschen kann, lernen aber, dass Verletzte oder nicht ansprechbare Personen besser gemütlich auf der Seite liegen sollen.
Und was kann man etwas größeren Kindern bereits zutrauen?
Mit den größeren Kindern kann man ein bisschen mehr in die Tiefe gehen. Und sie können motorisch schon mehr leisten und dürfen bei mir den Pflasterführerschein machen. Ich schminke dann immer kleine Wunden und die Kinder lernen, diese zu versorgen und zum Beispiel, dass man eine sterile Kompresse nicht berühren sollte. Am Ende sehen immer alle aus wie kleine Mumien – so viele Verbände legen sie sich gegenseitig an. Mit den Puppen für die Herzdruckmassage, wie man es aus den klassischen Erste-Hilfe-Kursen kennt, fangen wir frühestens in der sechsten Klasse an.
Weltweit wird sehr unterschiedlich mit dem Thema Erste Hilfe umgegangen, zum Beispiel, ob die Kurse bereits Teil der Schulausbildung sind und ob helfen sogar Pflicht ist. Wir haben einige Infos zusammengefasst:
- In Deutschland, aber auch anderen Ländern wie Argentinien, Dänemark, Frankreich oder Serbien gibt es eine Pflicht zur Hilfeleistung. Wird diese unterlassen, drohen hohe Geld- oder sogar Haftstrafen.
- In vielen europäischen Ländern, etwa in Belgien und Dänemark, steht Erste Hilfe spätestens in der Sekundarstufe im Lehrplan.
- Seit 1991 gilt in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die einheitliche Notrufnummer für Rettungsdienst und Feuerwehr: 112.
Wie groß ist das Interesse von Kitas und Schulen an diesen Kursen?
In unserer Region ist es sehr hoch, wir sind lange im Voraus ausgebucht. Dass das Thema wichtig ist, ist mittlerweile angekommen. Wir merken aber, dass die Kosten oftmals eine Hürde sind. Umso toller ist es, dass es vom Bundesamt für Katastrophenschutz inzwischen das geförderte Programm EHSH (siehe Infokasten) gibt, das unter anderem die Erste-Hilfe-Ausbildung für Kinder von drei bis zehn Jahren beinhaltet.
Was können Erziehungs- und Lehrkräfte sowie Eltern über eine solche Kursbuchung hinaus tun?
In Kita oder Schule kann das Thema natürlich immer wieder aufgegriffen und besprochen werden, damit es bei den Kindern präsent bleibt. Eltern können schon durch ihre Vorbildrolle Einiges richtig machen: Wenn die Kinder sehen, dass Mama und Papa an Personen, die Hilfe benötigen, nicht einfach vorbei gehen, bleibt das bei ihnen hängen. Was die meisten nicht wissen, ist, dass sich zudem jeder ehrenamtlich zum Ausbilder für Erste Hilfe schulen lassen kann. 19 Tage dauert die Ausbildung zum Beispiel beim ASB. Und über das EHSH-Programm können Erziehungs- und Lehrkräfte ohne medizinische Vorkenntnisse zu sogenannten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet werden und dann die Inhalte des Programms für Kinder von drei bis zehn Jahren unterrichten.
Seit 2020 fördert das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe die „Ausbildung in Erster Hilfe mit Selbstschutzinhalten“ – kurz EHSH“. Ziel ist es die Bevölkerung zur Selbst- und Fremdhilfe in Notlagen bis zum Eintreffen professioneller Hilfskräfte zu schulen. In Kooperation mit fünf Hilfsdiensten soll über Angebote wie Erste-Hilfe-Kurse flächendeckend die Resilienz der Bevölkerung für Not- und Katastrophenfälle gesteigert werden. Ein Modul von insgesamt acht ist die Schulung von Kindern zwischen drei und zehn Jahren.
Infos gibt es bei den EHSH-Zentralstellen der Hilfsorganisationen und beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.