Viele Ü-30-Jährige erinnern sich noch an die Urlaubsfahrten der eigenen Kindheit: Liegend auf der Rückbank ließ es sich wunderbar schlafen, spielen oder Musik hören bis zum Ankunftsort. Höchstens an Grenzübergängen erinnerten manche Eltern, sich doch kurz aufzusetzen und anzuschnallen. Nicht unbedingt wegen der Sicherheit, sondern wegen der möglichen Ermahnung durch den strengen Grenzbeamten. Das sieht heute – zum Glück – ganz anders aus. Nicht zuletzt wegen der am 1. April 1993 eingeführten Kindersitzpflicht.
Sitz ist nicht gleich Sitz
„Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, die kleiner als 150 cm sind, dürfen in Kraftfahrzeugen [...] nur mitgenommen werden, wenn Rückhalteeinrichtungen für Kinder benutzt werden“, heißt es im Wortlaut in Paragraf 21 der Straßenverkehrsordnung StVO. Die amtsdeutsche Rückhalteeinrichtung meint nichts anderes als den Kindersitz. Kindersitz ist aber nicht gleich Kindersitz – das wissen Eltern spätestens nach dem ersten Googeln oder dem Besuch im Fachgeschäft, der oft für rauchende Köpfe sorgt. Es gibt verschiedene Kategorien an Sitzen und unzählige Modelle: Die Kleinsten fahren am besten rückwärts gerichtet in der Babyschale mit, bei den Folgesitzen gibt es sogenannte Reboarder sowie Sitze mit integrierter Rückenlehne mit oder ohne sogenannte Fangkörper. Kurz vor der Sitzfreiheit reichen dann zumindest gesetzlich auch schon einfache Sitzerhöhungen aus. Gesichert werden die Kinder im Sitz entweder durch integrierte Gurte oder den Autogurt (mehr dazu im Video in der Sidebar).
Der Kauf eines Kindersitzes ist nichts, was man mal schnell macht. Eltern sollten sich vorab über die richtige Kategorie für Alter und Größe ihres Kindes sowie die Modelle und ihre Unterschiede informieren. Im Fachhandel gibt es neben ausführlicher Beratung auch meist die Möglichkeit, die Sitze vor dem Laden ins eigene Auto einzubauen – denn die heutigen High-Tech-Sitze benötigen mit Kopfstützen, Seitenaufprallschutz und Co. einiges an Platz im Fahrzeug. Natürlich sollten auch die Kinder dabei sein und Probesitzen. Wer einen gebrauchten Kindersitz erstehen will, sollte unbedingt darauf achten, dass dieser unfallfrei ist. Und andersherum gilt: Nach einem Unfall mit einem entsprechenden Aufprall sollten die Kindersitze nicht mehr verwendet werden – besonders jene Modelle mit einem integrierten Gurt. Mercedes-Benz bietet eine eigene Kindersitzreihe an, die sich optimal für die Fahrzeuge der Marke eignen. „Wir nutzen Grundmodelle eines namhaften deutschen Herstellers, optimieren diese und passen sie auf unsere Fahrzeuge an. Damit genügen sie unseren hohen internen Ansprüchen, welche weit über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen“, erklärt Joachim Fausel, Experte für Kindersicherheit bei Mercedes-Benz. Das mache die Sitze in Kombination mit dem passenden Auto noch sicherer.
Im Auto installiert werden die Sitze je nach Modell einfach mit dem Gurt oder über das Befestigungssystem Isofix, das es bereits seit Mitte der 1990er-Jahre gibt und das seit 2013 für alle in Europa neu zugelassenen Fahrzeuge sogar Pflicht ist. Ebenfalls seit 2013 gibt es die neue europäische Norm für Kindersitze „i-Size“, die Eltern immer wieder beim Sitzkauf begegnet und das Abkürzungs-Dickicht noch etwas undurchschaubarer macht. Grob gesagt: Bei i-Size werden die Sitze unter anderem nicht mehr nach Gewicht, sondern nach Körpergröße kategorisiert – die alte Einteilung nach Gewichtsklassen gilt noch bis September 2024. Dann dürfen in der EU keine nach der alten Norm zertifizierten Sitze mehr verkauft werden.
Die Sitzposition im Fahrzeug ist nicht in der StVO geregelt, sondern frei wählbar. Mit Sitz dürfen die Kinder also auch vorne im Fahrzeug mitfahren – wichtig ist hier, dass bei rückwärtsgerichteten Sitzen wie der Babyschale der Beifahrer-Airbag deaktiviert wird. Mercedes-Benz bietet dafür eine automatische Beifahrerairbag-Abschaltung an. „Jede Mutter oder jeder Vater kann im Alltag mal vergessen, den Airbag situationsgerecht an- oder abzuschalten, wenn dieser im Fahrzeug nur manuell bedienbar ist. Damit dieser Fehler ausgeschlossen werden kann, hat Mercedes-Benz bereits vor Jahren die automatische Beifahrer-Airbagabschaltung serienmäßig eingeführt“, sagt Sicherheitsexperte Joachim Fausel. Die automatische Abschaltung, die unabhängig vom Sitzhersteller funktioniert, deaktiviert den Beifahrer-Airbag nicht nur bei rückwärtsgerichteten Babyschalen, sondern auch bei vorwärtsgerichteten Sitzen für kleinere Kinder, da auch hier das mögliche Risiko größer ist als der Nutzen, wenn sich der Airbag entfaltet.
Generell empfehlen Experten meist den Platz rechts hinten, da er als sicherster im Fahrzeug gilt – auch weil das Kind auf der verkehrsabgewandten Seite am rechten Straßenrand sicherer ein- und aussteigen kann. Neben Sitz und Anschnallen gehören auch die aktivierte Kindersicherung in den Türen sowie das sichere Verstauen aller Gepäckstücke zum Sicherheitskonzept für die Fahrt in den Urlaub.
Sarah Vasconi ist bei der Stiftung Warentest die Expertin für Autokindersitze. Sie weiß, auf welches Thema die Verbraucher derzeit Wert legen, wie es trotz EU-Normen noch zu Sicherheitsmängeln kommen kann und warum die Entscheidung für den richtigen Kindersitz am Ende eigentlich immer das Kind trifft.
Wie lange und nach welchen Kriterien testet die Stiftung Warentest bereits Autokindersitze?
Vasconi: Tatsächlich schon fast seit den Anfängen der Testarbeit. Im Mai 1968 wurde der erste Test veröffentlicht. Zunächst wurde unregelmäßig getestet, ab 1999 dann bereits jährlich. Größter und aufwändigster Baustein sind die Sicherheitstests. Bei diesen simulieren wir verschiedene Unfallsituationen mit verschieden großen und schweren Crashtest-Puppen und verschiedenen Einstellungen der Kindersitze – also zum Beispiel in Sitz- und Liegeposition. Bedienbarkeit und Handling werden natürlich auch geprüft sowie seit 2011 auch die Schadstoffbelastung – ein Thema, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern sehr wichtig geworden ist, nicht nur bei Kindersitzen.
Gibt es denn in Zeiten aufwändiger Zertifizierungen für die Hersteller überhaupt noch Sitze, bei denen es wirklich an der Sicherheit mangelt oder geht es nur noch um Nuancen beim Komfort?
Vasconi: Glücklicherweise liegt der Großteil der Produkte bei der Sicherheit im Bereich von „gut“. Und nichtsdestotrotz entdecken wir auch immer wieder mal Sicherheitsmängel. Da muss ja nur mal ein Teil vom Hersteller ausgetauscht werden, das einen Konstruktionsfehler hat, aber zum Beispiel keiner Rezertifizierung bedarf. Aber zum Großteil sind es natürlich schon Dinge wie Bedienbarkeit oder Preis-Leistung, die die Unterschiede in der Bewertung ausmachen.
Wenn die Sitze alle Tests bestanden und eine gute Note erzielt haben, kommt es im Alltag auf die korrekte Nutzung an – welche Tipps haben Sie da?
Vasconi: Das Wichtigste ist, sich Zeit zu nehmen. Und zwar nicht nur beim ersten Mal, sondern vor jeder Fahrt. Denn es kann immer der Tag kommen, an dem dann doch einmal ein Unfall passiert. Bei den kleineren Kindern ist es zum Beispiel unerlässlich, die integrierten Hosenträgergurte wirklich festzuziehen. Und auch bei älteren Kindern, die sich vielleicht sogar schon selbst anschnallen, sollte immer nochmal überprüft werden, dass der Gurt richtig durch die jeweiligen Vorrichtungen läuft. Wenn andere Personen wie etwa die Großeltern die Kinder transportieren, sollten auch sie die Sitze und deren Einstellungen vorab gut erklärt bekommen.
Gibt es einen Richtwert, wieviel Geld Eltern für einen ordentlichen Kindersitz ausgeben müssen?
Vasconi: Es gibt so viele verschiedene Sitzkategorien und auch -modelle, dass man das nur sehr schwer in Zahlen fassen kann. Bei der Sicherheit sollte man nie Einschränkungen machen. Wenn man zugunsten des Preises auf ein wenig Komfort verzichtet kann, ist das eine andere Sache. Aber es gibt auch gute Modelle, die beides bieten. Manche Hersteller arbeiten auch an mitwachsenden Sitzmodellen, die alle Altersgruppen abdecken sollen. Die sind dann natürlich teurer, aber ersetzen eben mehrere Sitze. Am Ende trifft die Entscheidung aber zum großen Teil auch der Nachwuchs selbst – denn nicht jedes Kind kann zum Beispiel aufgrund von Reiseübelkeit lange rückwärtsfahren oder kommt mit einem sogenannten Fangkörper vor dem Bauch zurecht.
Sie haben mitwachsende Sitze genannt – welche neuen Trends gibt es derzeit noch auf dem Markt?
Vasconi: Recht neu sind Babyschalen mit einer speziellen Einlage, bei denen der schwere Teil im Auto bleibt und das Baby nur mit dem leichteren Innenteil herausgehoben wird. Jeder, der schonmal länger eine Babyschale getragen hat, weiß wie schwer und unhandlich die sind. Bisher bieten jedoch nur wenige Hersteller ein solches System an. Und dann gibt es noch neue Produkte mit integriertem Airbag im Fangkörper – die haben bei den Tests sehr gut abgeschnitten, sind aber dementsprechend teuer.
An die Konsequenzen denken
„Wird schon gutgehen“, denken sich vielleicht manche Eltern, wenn sie in Ausnahmesituationen ihr Kind ohne Sitz transportieren, zum Beispiel bei einer spontanen Fahrgemeinschaft oder einer kurzen Taxifahrt. Dieser Gedanke ist mehr als fahrlässig. „Schon bei kleinen Unfällen können Kräfte, die für Erwachsene noch kein Problem darstellen, die empfindlicheren Kinderkörper schädigen“, sagt Sicherheitsexperte Joachim Fausel. „Aber auch mit Kindersitz sind das passende Modell und die richtige Handhabung im Ernstfall entscheidend: ein falsch geführter Sicherheitsgurt oder eine nicht korrekt eingerastete ISOFIX-Verankerung erhöht beim Unfall das Verletzungsrisiko. Wer Kinder ohne oder mit falschem Kindersitz an Bord hat, riskiert zudem ein Bußgeld von bis zu 70 Euro.“ Das soll abschrecken, aber natürlich nicht die Motivation sein. Vielmehr sollten Eltern sich vor jeder Fahrt bewusst machen, dass sie das wichtigste Gut transportieren und ihre Kinder bestmöglich schützen müssen.
Die Regeln zur Kindersitzpflicht sehen in den beliebten Urlaubsländern teils ganz anders aus als in Deutschland. Lesen Sie hier, was in Ihrem Reiseland gilt:
- Saftige Strafen in Österreich: In Österreich müssen seit 2019 Kinder nur noch bis 1,35 Meter Körpergröße im Kindersitz mitfahren (zuvor 1,50 Meter). „Bei Verstößen gegen die Kindersicherungsbestimmungen droht neben einer Strafe bis 5.000 Euro auch eine Vormerkung im Führerscheinregister“, schreibt der Österreichische Automobilclub ÖAMTC.
- Rücksitzpflicht in Spanien: Auf der iberischen Halbinsel gilt ebenfalls eine Kindersitzpflicht bis 1,35 Meter Körpergröße. Wichtig ist zu wissen, dass Kinder mit wenigen Ausnahmen immer auf der Rückbank transportiert werden müssen.
- Alarm in Italien: In Bella Italia müssen Kinder unter neun Kilo rückwärtsgerichtet befördert werden. Bis 36 Kilogramm oder einer Größe von 1,50 Meter brauchen sie einen Kindersitz. Seit 2020 müssen Kindersitze, die für die Beförderung von Kindern bis einschließlich drei Jahren verwendet werden, mit einem Alarm ausgestattet sein, der ein Vergessen der Kinder im Fahrzeug verhindern soll. Die Pflicht gilt nur für in Italien zugelassene Fahrzeuge, sprich auch für Mietautos. „Mercedes-Benz hat bei ersten Modellreihen ein im Fahrzeug integriertes System eingeführt, das bei einem vermuteten Kind auf dem Rücksitz den Fahrer vor Verlassen des Fahrzeugs erinnert“, sagt Sicherheitsexperte Joachim Fausel. Diese „Personenanwesenheitserinnerung“ wird auf alle neuen Baureihen ausgerollt und stetig weiterentwickelt.
- In Frankreich gilt die zehn: Kinder bis zehn Jahre benötigen in Frankreich einen Kindersitz. Bei Missachtung fällt eine Strafe von 135 Euro an.
- Kein Motorrad in Kroatien: Kinder bis 1,50 Meter benötigen in Kroatien einen Kindersitz, größere Kinder müssen mit dem Sicherheitsgurt und einer Sitzerhöhung gesichert werden. Unter zwölf Jahren dürfen sie nicht auf dem Motorrad mitfahren.
- Uneinheitliche Regeln in Amerika: Die Regelung für Kindersitze unterscheidet sich in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat. In Florida ist es beispielsweise aktuell so, dass Kinder ab sechs Jahren keinen speziellen Kindersitz mehr benötigen. Eine vollständige Übersicht aller Gesetze zum Thema Kindersitze lässt sich hier abrufen.
- China schützt Kinder: Im Jahr 2021 trat in China ein revidiertes Gesetz zum Schutz von Minderjährigen in Kraft. In diesem werden Eltern aufgefordert, Kindersitze zu verwenden. Die erste staatliche Norm zu diesem Thema ist am 1. Juli 2012 in Kraft getreten.
- Keine Pflicht in Indien: In Indien gibt es keine Kindersitzpflicht, dementsprechend herausfordernd ist es auch, in einer der indischen Metropolen einen Kindersitz zu erwerben.
- Wissenswertes für Fernreisen: Wer mit dem Flugzeug in ein weiter entferntes Land fliegt, muss sich vorab genau mit den lokalen Regeln auseinandersetzen. Manche Kindersitze sind auch im Flugzeug zugelassen und können so schon dort die Sicherheit und vielleicht auch Gemütlichkeit erhöhen. Gerade wenn vor Ort ein Mietwagen genutzt wird, kann die Mitnahme des eigenen Sitzes sinnvoll sein. Denn nicht immer haben Mietwagenfirmen den passenden Sitz für jedes Kind vorrätig und oft sind die Mietpreise hoch. Aber Vorsicht: Nicht überall sind die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen Sitze zugelassen – zum Beispiel in Australien oder den USA.